Zwischen den Bildern – Die hybride Ästhetik des Comic als Mittel der Interkulturalität

Jonas Engelmann

Datum: 22. Juni 2010

Wenn die Comic-Forschung ihr Augenmerk auf die Zwischenräume der Panels legt, das Nicht-Abgebildete dem Sichtbaren vorzieht oder die hybride Ästhetik des Mediums in der Verschränkung von Schrift und Bild betont, so erinnert dies an die von der Postkolonialen Theorie aufgestellte These eines Dritten Raumes oder Edward Saids kontrapunktische Lektüre. Ausgehend von dieser Parallele soll die Frage gestellt werden, inwieweit Comics, die sich inhaltlich mit Fragen des Postkolonialismus oder Rassismus beschäftigen, diese ästhetische Spezifik zur Reflexion nutzen können. Comiczeichner der südafrikanischen Post-Apartheidgesellschaft etwa haben in ihren Arbeiten die Nachwirkungen eines Staates reflektiert, der sich gegen jegliche Form von “Vermischung” richtete, und gegen diese Ideologie der „Reinheit“ ein Medium gesetzt, in dem sich High und Low Art ebenso vereinen wie Englisch und Afrikaans, Text und Bild oder Geschichte und Pornografie. Gleichzeitig greifen sie dabei auf klassische Arbeiten der Comic-Geschichte zurück und eignen sich Motive und Stilistik von beispielsweise Hergés „Tim und Struppi“ an – eine Serie, deren Band „Tim im Kongo“ von 1931 sich nicht nur durch expliziten Rassismus auszeichnete, sondern auch ursprünglich als Rechfertigung des belgischen Kolonialismus angelegt war. In dieser Aneignung und Umdeutung setzen sich die Zeichner des Kollektivs „Bitterkomix“ mit der durchaus problematischen Geschichte des eigenen Mediums auseinander, zu der auch die Macht gehörte, das Bild des Schwarzen mehrerer Generationen von europäischen Hergé-Lesern zu prägen. Zuletzt zeigt dieser Bezug jedoch auch den Versuch, sich der eigenen Geschichte zu stellen, gehören die Mitglieder des lange Zeit einzigen Comicmagazins Südafrikas „Bitterkomix“ doch der weißen Mittelklasse an und haben die volle Wucht der auf Rassismus und Religion aufbauenden Erziehung am eigenen Leib erfahren. Umso drastischer fallen ihre Comics aus: sie greifen alle erfahrenen Unterdrückungsmechanismen an, die Kirche, den Rassismus, das Militär, die elterliche Autorität, thematisieren sexuellen Missbrauch, Homosexualität, Interracial Sex und decken in den Anfeindungen, die ihnen von weißen Südafrikanern entgegenschlagen, die noch immer nachwirkenden Konsequenzen einer über vierhundert Jahre währenden Kolonialzeit auf.

Jonas Engelmann hat in Mainz Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie und Politikwissenschaft studiert und 2006 mit einer Arbeit über “Auschwitz im Werk von Hubert Fichte und Paul Auster” abgeschlossen. Seitdem promoviert er zur Ästhetik des zeitgenössischen Independent-Comic, ist Teil der testcard-Redaktion und schreibt für diverse Zeitungen.