Prof. Dr. Heike Egner

Sommer-/Wintersemester 2019

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prof. Dr. rer. nat. Heike Egner

Gastgeber: Prof. Dr. rer. nat. Anton Escher (Kulturgeographie, Geographisches Institut)



Interkulturelle Herausforderungen im Anthropozän: Wie begegnet man geologischen Subjekten?

Vortrag am Donnerstag, den 12. Dezember 2019, 16:15 Uhr, R 07-232 Senatssaal 

Abstract:

Die Hypothese des Anthropozän fordert die Wissenschaften in ganz fundamentaler Weise heraus, indem es die traditionelle Dichotomie von Natur|Kultur, als die Welt der Naturgesetzlichkeiten und die Welt der Ideen, infrage stellt. In gesellschaftlicher Hinsicht zeitigt die Hypothese des Anthropozän offenbar erste manifeste Veränderungen, die – neben vielem anderen – auch unser (inter-) kulturelles Verständnis auf die Probe stellt. In 2016/2017 kamen drei Bundesverfassungsgerichte (in Indien, Kolumbien, Neuseeland) unabhängig voneinander zu einer völlig überraschenden Rechtsprechung: Sie erteilten einem Fluss in ihrem Land Persönlichkeitsrechte. Die Flüsse erhalten somit Personenstatus, genauer: den Status eine „Rechtssubjekts“, das „für sich selbst“ das Recht auf Schutz, Erhaltung, Nachhaltigkeit und Wiederherstellung eines „gesunden Zustandes“ vom Staat einklagen kann. Die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen von Interkulturalität erweitert sich damit radikal, da wir – Menschen – gefragt sind, Formen des Umgangs mit „geologischen Personen“ zu entwickeln. Der Beitrag dreht sich um die Bedingungen der Möglichkeit sowie die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser höchstrichterlichen Entscheidungen.


Heike Egner wurde 2001 an der Johannes Gutenberg-Universität im Fach Geographie mit einer Arbeit über „Trend- und Natursport als System. Die Karriere einer Sportlandschaft am Beispiel Moab/Utah“ unter Betreuung des Gastgebers promoviert. 2007 habilitierte sie sich ebenfalls in Mainz mit einer Arbeit über „Gesellschaft, Mensch, Umwelt – beobachtet. Ein Beitrag zur Theorie der Geographie“. Sie lehrte und forschte in Frankfurt am Main, Kassel, München, Wien, Innsbruck und Klagenfurt. Als Research Fellow war sie am Rachel Carson Center for Environment and Society in München (2010), am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) in Bielefeld (2011) sowie am Institute of Advanced Studies der Durham University (UK) (2015) eingeladen.

In ihrer Forschung beschäftigt sich Heike Egner mit den Interaktionen und Wechselbeziehungen zwischen „Gesellschaft|Natur“ und „Mensch|Umwelt“ und betrachtet diese vor allem unter einer sozialgeographischen/sozialwissenschaftlichen Perspektive. Im Zentrum ihrer aktuellen Forschung steht die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen sowie den Folgen der Hypothese des Anthropozän, die aus ihrer Perspektive eine fundamentale Herausforderung für alle Wissenschaften darstellt. Der Begriff sowie die Diagnose des Anthropozän tragen dazu bei, dass die tradierte und grundlegende Unterscheidung zwischen Naturgeschichte und Kulturgeschichte kollabiert; gleichzeitig kollabiert unsere grundlegende Unterscheidung zwischen Natur und Kultur insgesamt. Das Anthropozän erfordert damit zwangsläufig eine Re-Definition von uns selbst als Menschen und verändert gleichzeitig den Ausgangspunkt aller wissenschaftlichen Disziplinen. Diese Aspekte sollen während des Aufenthaltes an der JGU vertieft werden. Beabsichtigt ist die Planung einer Tagung zum Thema.


Publikationen (themenbezogene Auswahl):

Egner, Heike & Moremi Zeil (in rev.): A watershed decision! How to do justice to a river? In: Andreas Koch & Gottfried Schweiger (Hgg.): Spatial In/justice. New York: Rowman & Littlefield.

Egner, Heike (2019): Mattering matter in radical constructivism. In: Theo Hug, Josef Mitterer & Michael Schorner (Hgg.): Ernst von Glasersfeld (1917–2010). Radical constructivism – past, presence and future. Innsbruck: Universität Innsbruck Press, 351–365.

Egner, Heike & Moremi Zeil (2019): Das Anthropozän – ein begriffliches Erdbeben (nicht nur für die Geographie). In: Heike Egner & Horst Peter Groß (Hgg.): Das Anthropozän. Interdisziplinäre Perspektiven auf eine Krisendiagnostik. München: Profil-Verlag (Klagenfurter Interdisziplinäres Kolleg 8), 15–32.

Egner, Heike & Horst Peter Groß (Hgg.).(2019): Das Anthropozän. Interdisziplinäre Perspektiven auf eine KrisendiagnostikMünchen: Profil-Verlag (Klagenfurter Interdisziplinäres Kolleg 8).

Egner, Heike & Michael Jungmeier (2018): Non-territorial nature conservation? On protected areas in the Anthropocene. Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 160: 115–142.

Egner, Heike (2017): Neither realism nor anti-realism: How to approach the Anthropocene? In: Christian Kanzian, Sebastian Kletzl, Josef Mitterer & Katharina Neges (Hgg.): Realism – Relativism – Constructivism. Proceedings of the 38th International Wittgenstein Symposium in Kirchberg am Wechsel. Berlin: De Gruyter, 153–166.

Egner, Heike (2017): Was bedeutet das Anthropozän für uns als Gesellschaft? In: Nationalpark Hohe Tauern (Hg.): Anthropozän – ein neuer Blick auf die Erde als unseren Lebensraum. Großkirchheim 25./26.09.2017. 17–21.

Egner, Heike (2016): The IPCC's Interdisciplinary Dilemma: What Natural and Social Sciences Could (and Should) Learn from Physics. Insights 9 (5): 1–7.

Aufenvenne, Philipp, Heike Egner & Kirsten Von Elverfeldt (2014): On climate change research, the crisis of science, and second-order science. Constructivist Foundations 10 (1): 120–129.