"Les colonisés de l´intérieur": Die Neuaushandlung kultureller Identitäten in der französischen Gesellschaft

Ausgehend von aktuellen sozial- und kulturwisssenschaftlichen Ansätzen, nach denen sich Gruppenidentitäten nicht auf einen essentiellen Grund zurückführen lassen, sondern das Ergebnis sozialer bzw. diskursiver Prozesse sind, können im Nachgang der Unruhen in den französichen Großwohnsiedlungen im Herbst 2005 diese Konstitutionsprozesse in hoher Dichte und Dynamik beobachtet werden. Anhand dieser kann auch analysiert werden, wie Grupppenidentitäten in einer postkolonialen europäischen Gesellschaft im 21. Jh. neu ausgehandelt werden und sich letzlich die Gesellschaft selbst definiert. Nach ersten Voruntersuchungen lassen sich drei Deutungsmuster differenzieren:
1. Die Reaktion der politischen Elite war dominiert von einem Deutungsmuster, das die Probleme in erster Linie städtebaulich und sozial-ökonomisch interpretiert.
2. Die Probleme der banlieues werden zunehmend als Konsequenz ethnisch definierter Differenzierungen beurteilt. (Gründung eines "Repräsentativrats der Schwarzen", Diskussion um "positive Diskriminierung", Auseinandersetzung um die Rolle des Islam in der franz. Republik)
3. Neu ist die Einordnung der Benachteiligung der Vorstadtbewohner als Folge (post-) kolonialer Unterdrückung. So definieren sich neue soziale Gruppen explizit als "colonisés de l´intérieur". Damit wird die Krise der banlieues verschränkt mit der Auseinandersetzung über die Bewertung der kolonialen Vergangenheit Frankreichs.
Die Integrations- und Städtebaupolitik war in Frankreich bislang von einem territorialen Ansatz geprägt, der gerade nicht nach Herkunft, Hautfarbe und Religion differenziert. Im Projekt soll untersucht werden, inwiefern die in der Analyse der Deutungsmuster herausgelesene Neudefinition der französischen Gesellschaft mit einer Veränderung dieser überkommenen Politikmuster einhergeht.

Projektlaufzeit: 2006

Projektbeteiligte:
Dr. Georg Glasze (Geographie)
Dr. Jörn Thielmann (KOOM)