Prof. Dr. Dariuš Zifonun

Oktober 2022

Prof. Dr. Dariuš Zifonun


Öffentlicher Vortrag am 26. Oktober 2022 / Online / Deutsch
Soziale Welten entdecken: Anselm Strauss und die Entstehung einer Forschungsperspektive

‚Discussant‘, Ko-Referent: Prof. em. Dr. Hans-Georg Soeffner

Abstract:

Der Vortrag untersucht die Art und Weise, wie Anselm Strauss, seine Vorgänger und Nachfolger den Begriff der sozialen Welten verwenden. Es wendet sich einigen der herausragenden Schriften zu, aus denen „soziale Welten“ als Schlüsselkonzept in der Ethnographie des Alltags hervorgegangen sind. Ausgehend von der pragmatischen Tradition heben diese Autoren die fließende und unbestimmte Natur der sozialen Organisation hervor. Schon früh bestand die Begründung der „sozialen Welten“ darin, einen analytischen Rahmen für die Konzeptualisierung von sozialem Handeln, Mitgliedschaft und Ressourcenallokation in der „Massengesellschaft“ zu bieten.

Einige Forschungsrichtungen betrachten soziale Welten als episodische Arrangements, die aus der Kommunikation hervorgehen, und behandeln sie naturalistisch als Phänomene der sozialen Szene. Andere haben auf Geschichte, soziale Institutionalisierungen, Grenzwahrung und gängige Praxis verwiesen und behandeln soziale Welten als „Konstrukte zweiten Grades“. Der Vortrag plädiert für eine analytische Skalierung sozialer Welten und macht Vorschläge für ein theoretisches Konzept sozialer Welten (einschließlich der Unterscheidung verschiedener Typen sozialer Welten). Es führt eine Reihe von Folgekonzepten ein und bringt die Perspektive der sozialen Welt mit der Praxistheorie in Einklang. Soziale Welten werden als Bausteine sozialer Struktur verstanden, also soziale Handlungssphären, die unterschiedliche Grade von Zugehörigkeit, Bindung und Loyalität organisieren.


Workshop am 27. Oktober 2022 / Online / Deutsch (offen für Zuhörer)
‘A Social World Perspective’: Reichweite und Grenzen eines Zugangs zur Rechtsinteraktion 

Abstract:

Der Workshop eröffnet einen Raum für die Erforschung des Nutzens der sozialen Weltperspektive von Anselm Strauss für die Untersuchung der Interaktion im Gerichtssaal. Er baut auf Dariuš Zifonuns Vortrag „Soziale Welten entdecken: Anselm Strauss und die Entstehung einer Forschungsperspektive“ auf und bringt die eigenen Nutzungen von „sozialen Welten“ und ihre Erfahrungen mit Gerichtsstudien ein. Kurze Anfangsstatements fokussieren auf die Eigenschaften der sozialen Welt von Gerichtssälen, Forschungsfragen, die sich aus einer interaktionistischen Darstellung des Rechtssystems ergeben, und methodische Fragen. Die Diskussion wird auch die Grenzen der Perspektive der sozialen Welt und Anpassungsmöglichkeiten hervorheben, die ihren analytischen Wert erhöhen könnten.



Dariuš Zifonun ist Professor für Soziologie mit den Schwerpunkten Sozialstrukturanalyse und Konfliktsoziologie an der Philipps-Universität Marburg. Zuvor war er Professor für Soziologie an der Alice Salomon Hochschule Berlin, Research Fellow am KWI Essen und hatte er Gastprofessuren an der University of North Carolina at Chapel Hill und der Hitotsubashi University Tokyo inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind Alltagssoziologie, Soziologie sozialer Welten sowie Migrations- und Ethnizitätsforschung. In seinen zumeist ethnographisch angelegten Forschungsprojekten hat sich Zifonun in den letzten Jahren u.a. der Interaktion in Gerichtsverhandlungen, in Schlaflaboren und Online-Settings gewidmet.

Während seines Aufenthalts wird Zifonun einen Vortrag zum Rahmenthema ‚Soziologie sozialer Welten‘ halten und in einem an der Entwicklung von Analyseperspektiven und methodischen Zugängen ausgerichteten Workshop interdisziplinäre Forschungsperspektiven entwickeln. Hierbei wird der interdisziplinäre Ansatz zur Analyse mehrsprachiger Gerichtsverhandlungen entwickelt, der als Grundlage für ein gemeinsames Drittmittelprojekt dienen soll. Die Gastgeberin Prof. Dr. Martina Schrader-Kniffki betreibt eine sprachlich-interaktive und auf translationswissenschaftliche Aspekte fokussierte Analyse von ca. 93 Gerichtsverfahren, eine Forschung, die es bisher für diesen spezifischen Bereich des Gerichtsdolmetschens nicht gibt. In Ergänzung und Erweiterung zu dem weiteren in der letzten Phase der Antragstellung befindlichen DFG-Projekt der Gastgeberin wird es darum gehen, über die Konversationsanalyse hinausgehende Methoden zur Anwendung zu bringen bzw. zu entwickeln und für die Untersuchung mehrsprachiger Gerichtsverfahren Migrationssettings (Deutschland) und Kontexte von minorisierten Sprachen (Mexiko) zusammenzuführen und ggf. vergleichend aus der ‚Soziale-Welten-Perspektive‘ zu untersuchen. Das geplante Fellowship wird interessierte M.A.-Studierenden und Doktorand*innen sowohl der JGU/FTSK als auch der Universität Marburg in die geplanten Aktivitäten einbeziehen, so dass auch Vernetzung auf der Ebene der Nachwuchswissenschaftler*innen geplant ist. Ferner wird in einem geplanten Workshop im engeren Kreis der Fellow zusammen mit der Gastgeberin und den jeweiligen in diesem Bereich Promovierenden aus dem Korpus an Videoaufnahmen von verdolmetschten Gerichtsverhandlungen Beispiele zur Ansicht auswählen und diese gemeinsam in einer Arbeitssitzung aus den jeweiligen Forschungsperspektiven diskutieren und kommentieren.


Seine jüngsten Publikationen (in Auswahl) sind

2020 Hans-Georg Soeffner. Klassiker der Wissenssoziologie, Bd. 18. Köln: von Halem.

2020 „Die Interaktionsordnung strafrechtlicher Hauptverhandlungen: Strukturelemente ihres Vollzugs und die Bewältigung von Identitätsproblemen“ (mit Carina Liebler). In: Soziale Systeme, 2017; Jg. 22, H. 1-2: 125–168.

2019 (Hrsg.) Methodologien und Methoden der Bildungsforschung. Quantitative und qualitative Verfahren und ihre Verbindungen (mit Jule-Marie Lorenzen und Lisa-Marian Schmidt). Weinheim: Beltz Juventa.

2016 (Hrsg.) Ritual Change and Social Transformation in Migrant Societies (mit Hans-Georg Soeffner). Frankfurt a.M.: Peter Lang.

2016 Versionen. Soziologie sozialer Welten. Weinheim: Beltz Juventa.

 

Im Erscheinen begriffen ist

(i.E.) (Hrsg.) Handbuch Migrationssoziologie (mit Antje Röder). Wiesbaden: Springer VS.