DFG-Projekt Juristische, administrative und politische Fachübersetzungen aus dem Französischen ins Italienische während der Napoleonischen Epoche am Beispiel von Mailand und Genua seit 2017
Gegenstand des Projektes sind Übersetzungen von französischsprachigen juristischen, administrativen und politischen Texten ins Italienische während der Napoleonischen Epoche (1798 – 1814), die aus translationswissenschaftlicher und übersetzungspolitischer Perspektive untersucht werden. Diese sind die direkte Folge einer Übersetzungspolitik, die bereits während der Französischen Revolution einsetzte und im auffallenden Widerspruch steht zur allgemeinen Tendenz der damaligen französischen Sprachpolitik, jegliche Form von Mehrsprachigkeit zu bekämpfen. Am 14.01.1790 erließ die französische Nationalversammlung ein Dekret, das die Übersetzung aller nationalen Gesetze und Dekrete in die Regionalsprachen Frankreichs vorsah. Zwei Jahre später wurde diese Übersetzungspolitik auf die europäischen Nachbarsprachen ausgeweitet, um die Revolutionsideen zu verbreiten. Mit der Errichtung italienischer Tochterrepubliken während des sogenannten triennio rivoluzionario (1796-99) gerieten weite Teile Italiens unter direkte französische Kontrolle, wodurch diese Übersetzungspolitik von nun an auch auf das Italienische angewandt wurde.
Die aus dieser Übersetzungspolitik hervorgegangenen Übersetzungen sind aus sprach- und übersetzungswissenschaftlicher Perspektive bisher noch nicht eingehend untersucht worden. Voruntersuchungen liegen insbesondere aus rechtshistorischer Perspektive vor, vor allem zur Entstehung der italienischen Übersetzungen des französischen Code civil. Sprachgeschichtliche Aspekte spielen in diesen Untersuchungen nur eine marginale Rolle. Umgekehrt wird in sprachgeschichtlichen Untersuchungen die Rolle der Fachübersetzungen weitgehend ausgeblendet. Übersetzungsgeschichtliche Untersuchungen, die die Wechselwirkungen von Sprache, Übersetzung, Recht und Politik in den Blick nehmen, fehlen bisher ganz. Das Projekt soll dazu beitragen, einen Teil dieser Forschungslücke zu schließen. Der Fokus soll dabei auf Übersetzungen von Texten liegen, die sich potenziell an ein breites Publikum richten, z.B. Gesetze (einschließlich Gesetzessammlungen und Gesetzbücher), Dekrete und Bekanntmachungen. Ausgeschlossen werden Übersetzungen von Texten, die sich primär an Juristen richten, z.B. juristische Abhandlungen oder Sammlungen von Gerichtsurteilen.
Mit Unterstützung des Zentrums für Interkulturelle Studien der Universität Mainz konnten erste Archivstudien in Mailand, Rom, Neapel und Korsika durchgeführt und bereits umfangreiches Material gesichtet werden. Erste Analysen zeigen eine starke Ausgangstextorientierung. Es kann davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Strukturen und Termini des Französischen die sich herausbildende italienische Rechtssprache geprägt haben und diese Übersetzungen eine wichtigere Rolle für die Entwicklung des Italienischen als Fachsprache von Recht und Verwaltung gespielt haben als bisher angenommen.
Für weiterzuführende Projekt wurde eine geographische Eingrenzung auf Mailand und Rom vorgenommen. Mailand spielte eine zentrale Rolle als im Italien Napoleons, zunächst als Hauptstadt der „zisalpinischen“, anschließend der italienischen Republik und später als Hauptstadt des Napoleonischen Königreichs Italien. In Mailand wurde der Code civil und andere französische Gesetzbücher ins Italienische übersetzt und von dort aus z.T. in andere Regionen Italiens exportiert, wobei in Mailand die italienischen Übersetzungen jeweils als amtliche Fassungen galten. Die Entscheidung für Rom ist damit zu begründen, dass der Stadt aufgrund ihrer Geschichte und ihres Prestiges eine besondere Ausstrahlungskraft zugesprochen wurde. Im Gegensatz zu Mailand waren die Übersetzungen für Rom zur Zeit des Kaiserreichs zunächst nicht rechtssetzend, sondern hatten lediglich eine informative Funktion.
Projektziele:
- Beschreibung linguistischer Übersetzungsprobleme und der entsprechenden Übersetzungsverfahren (auf den Ebenen Lexik/Terminologie, Textaufbau, Rhetorik)
- Beschreibung der Rolle der Übersetzungen für die Herausbildung der italienischen Fachsprache von Recht und Verwaltung (unter Einbeziehung von Vergleichskorpora aus den Epochen vor und nach unserem Untersuchungszeitraums)
- Dokumentation der Übersetzungspolitik (Auswertung von Dokumenten zur Steuerung und Organisation der Übersetzungstätigkeit)
- Erstellen einer Bibliographie der o.g. Übersetzungen (insbesondere von Archivmaterial, das bisher nicht bibliographisch erfasst ist)
Laufzeit: 2011-lfd.
Förderung durch das ZIS: 2011/2012/ 2018 [Workshop «Rechtssprache und Rechtsübersetzung in Geschichte und Gegenwart» (September 2018)] ; weitere Förderung: DFG ab 2017
Projektleiter:
Univ.-Prof. Dr. Michael Schreiber
Prof. Dr. Kristin Reinke
Publizierte Beiträge:
Schreiber, Michael : „Zur Übersetzungspolitik der Französischen Revolution und der Napoleonischen Epoche. Am Beispiel von drei nationalen Übersetzungsbüros“, in: Heidi Aschenberg / Sarah Dessì Schmid (Hrsg.): Romanische Sprachgeschichte und Übersetzung. Heidelberg: Winter, 2017, 139-150.
Schreiber, Michael (2015): „Nationalsprache – Regionalsprache – Nachbarsprache: Zur Übersetzungspolitik während der Französischen Revolution“, erscheint in: Dizdar, Dilek et al. (Hrsg.): Übersetzung und Nationenbildung. Berlin: Frank & Timme.
Reinke, Kristin / Schreiber, Michael (2015): „Juristische Fachübersetzungen im Sprachenpaar Französisch-Italienisch in den Jahren 1789 bis 1814“. Comparatio delectat II. Akten der VII. Internationalen Arbeitstagung zum romanisch-deutschen und innerromanischer Sprachvergleich. Innsbruck, 6.-8. September 2012. Frankfurt/M. usw.: Peter Lang, 2015, 693-706.
D’hulst, Lieven / Schreiber, Michael (2014): „Vers une historiographie des politiques des traductions en Belgique durant la période française“, erscheint in: Target. International Journal of Translation Studies.
Schreiber, Michael (2012): „Zur Übersetzungspolitik während der Französischen Revolution. Versuch eines Forschungsberichtes“, in: Holzer, Peter / Feyrer, Cornelia / Gampert, Vanessa (Hrsg.): „Es geht sich aus...“ zwischen Philologie und Translationswissenschaft. Festschrift für Wolfgang Pöckl. Frankfurt a. M.. usw.: Peter Lang, 267-278.